Kritik am Jurastudium
Die Lehre an den Universitäten
könnte noch verbessert werden
Wenn man sich mit der Juristenausbildung in Deutschland beschäftigt fallen einem zwei Prozentzahlen auf, die eigentlich niemandem wirklich gefallen können. Die erste Zahl steht für die hohe Durchfallquote bei der Staatlichen Pflichtfachprüfung (ca. 34 %), die andere für die große Nachfrage nach Privaten Repetitorien (ca. 90%).
Die hohe Durchfallquote kann vor allem den Studenten nicht gefallen, denn sie macht deutlich wie realistisch die Gefahr ist nach über vier Jahren Studium ohne Abschluss dazustehen. Zwar sind die investierten Jahre dann sicher trotzdem nicht gänzlich verschenkt, aber ärgerlich ist es schon nach der langen Zeit ohne etwas „Handfestes“ dazustehen.
Die Quote von 34 % kann aber auch den Universitäten (und den Steuerzahlern) nicht gefallen, denn es spricht ja auch nicht unbedingt für einen Lehrer, wenn ein Drittel der Schüler das Ziel verfehlt. Zwar tragen die Studenten hierfür in erster Linie selbst die Verantwortung, aber die Universitäten prägen und beeinflussen deren Lernverhalten ja mit ihren vielen Vorlesungen und Prüfungen maßgeblich mit. Zumindest eine gewisse Mitverantwortung müssen sich die Universitäten also ankreiden lassen, auch wenn sie sich für die „Durchgefallenen“ offenbar nicht im Geringsten verantwortlich fühlen (→ siehe hierzu ein Interview mit dem ehemaligen Jurastudenten Philipp Mollenhauer auf ZEIT.DE)
Auch dass ca. 90% aller Jurastudenten nach durchschnittlich über drei Jahren Studium nochmal ein Jahr lang ein Privates Repetitorium aufsuchen kann eigentlich niemand gut finden. Die Studenten haben kein Interesse daran weil sie für diese Nachhilfe Geld bezahlen müssen, was manche nur schwer aufbringen können.
Und auch den Universitäten müsste der große Erfolg der Privaten Konkurrenz eigentlich ein Dorn im Auge sein. Man muss sich das nochmal vergegenwärtigen: 90 % aller Studenten fühlen sich nach ungefähr drei Jahren Studium an der Universität so schlecht auf die Pflichtfachprüfung vorbereitet, dass sie nochmal ein Jahr lang über 150,- € im Monat bezahlen um dann mit dem Stoff nochmal von vorne anzufangen. Ein schlechteres Zeugnis kann man der Lehre an den Universitäten eigentlich ja gar nicht ausstellen.
Es sollte also eigentlich im Interesse aller Beteiligten sein diese beiden Prozentzahlen zu senken, und zwar ohne dabei das Niveau der Staatlichen Pflichtfachprüfung zu senken. Und wenn man dieses Ziel ernsthaft verfolgen will muss man der Frage nachgehen, an welchen Stellschrauben man hierfür drehen könnte. Ein sehr begrüßenswerter Schritt war in den vergangenen Jahren, dass nun auch an den Universitäten verstärkt Examens– und Klausurenkurse angeboten werden. Solche „Uni-Repetitorien“ orientieren sich weitgehend an den Angeboten der Privaten Anbieter, d.h. die Examenskurse sind ebenfalls auf ein Jahr angelegt und es werden zusätzlich Crash-Kurse zur (nochmaligen) Wiederholung angeboten (→ siehe hierzu z.B. das Angebot der Universität zu Köln).
Diese Angebote gibt es mittlerweile an sehr vielen Fakultäten, und trotzdem scheinen immer noch sehr viele Studenten die Privaten Anbieter zu bevorzugen. Warum das so ist kann von hier aus schlecht beurteilt werden, aber irgendeinen Grund wird es wohl geben, denn selbst wohlhabende Studenten zahlen nicht freiwillig über 150,- € im Monat wenn sie an der Universität die gleiche – oder gar eine noch bessere – Veranstaltung umsonst geboten bekämen.
Immerhin sind die kostenlosen Examens– und Klausurenkurse aber schon mal ein erster Schritt und es besteht ja durchaus die Hoffnung, dass die Kurse dort noch weiter verbessert werden. Zumindest in Köln ist das auch das erklärte Ziel: „Auch in Zukunft werden wir daran arbeiten, die universitäre Examensvorbereitung zum Wohle der Studierenden mit neuen Ideen und Projekten voranzutreiben.“
Anstatt sich nur auf die Verbesserung der Jahreskurse zu fokusieren wäre es allerdings auch überlegenswert, ob man das Studium insgesamt so organisieren könnte, dass diese einjährige Wiederholung des Stoffs gar nicht mehr erforderlich ist. So lassen sich bei Betrachtung des Lernprozesses mindestens drei Ansatzpunkte für mögliche Verbesserungen finden.
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Prüfungen
Zunächst sollte klar sein, dass an der Staatlichen Pflichtfachprüfung eigentlich kein Weg vorbei führt. Genauso wie ein Arzt erstmal ein paar Prüfungen gemeistert haben sollte bevor er auf die Patienten losgelassen wird, so muss man eben auch als Jurist erstmal seine Kenntnisse unter Beweis gestellt haben bevor man jemanden verteidigen oder verurteilen darf. Und um diese Kenntnisse zu überprüfen ist die Staatliche Pflichtfachprüfung ein sehr geeignetes Mittel, denn die dort erzielten Ergebnisse sind sehr aussagekräftig. Nicht umsonst interessieren sich die Arbeitgeber so sehr für die dort erzielte Note, denn sie spiegelt den Leistungsstand der Abolventen gut wieder. Die Pflichtfachprüfung ist also notwendig und das JPA verdient hierfür Unterstützung in jeder Form.
Die Frage ist aber welchen Zweck eigentlich die vielen sonstigen Klausuren an der Universität erfüllen sollen, die man als Student zwingend bestreiten muss. Was ist also genau die Rechtfertigung dafür, dass man erstmal die Anforderungen der Universitäten erfüllen muss bevor man Einlass zum JPA erhält?
Im Wesentlichen sind hierfür nur drei mögliche Rechtfertigungen denkbar. Erstens: Man möchte sicherstellen, dass sich die Studenten über all die Jahre optimal auf die Pflichtfachprüfung vorbereiten und sie dabei unterstützen und mit den Klausuren zusätzlich zum Lernen motivieren. Zweitens: Man möchte die schwachen Kandidaten möglichst früh „aussieben“ um sie davor zu bewahren, dass sie viele Jahre umsonst studieren. Drittens: Man möchte erreichen, dass die Studenten noch etwas anderes lernen außer nur den Stoff der Staatlichen Pflichtfachprüfung.
Sollte es das Ziel sein die Studenten mit den Prüfungen optimal auf die Pflichtfachprüfung vorzubereiten, dann wird dieses Ziel offensichtlich verfehlt. Denn wenn 90% aller Studenten nach dem Studium an der Universtiät für die Examensvorbereitung ein Repetitorium aufsuchen und dort mit dem Stoff nochmal „bei Null“ anfangen, dann kann von einer optimalen Vorbereitung keine Rede sein.
Und auch das „Aussieben“ von schwachen Kandidaten funktioniert offensichtlich nicht gut genug, denn sonst würden nicht 34% der Studenten alle Anforderungen der Universitäten erfüllen, dann aber trotzdem durch die Pflichtfachprüfung fallen.
Die einzig vertretbare Rechtfertigung wäre also, wenn mit den von der Universität aufgestellten Hürden noch andere Lernziele verfolgen würden, die über den Stoff der Staatlichen Pflichtfachprüfung hinausgehen. Und hier finden sich in den Prüfungsordnungen in der Tat einige Inhalte, die in der Pflichtfachprüfung keine Rolle spielen…
Zunächst kann man feststellen, dass diese zusätzlichen Kompetenzen sehr sinnvoll sind. So kann man mit dem Schwerpunktbereich schon mal eine erste Weichenstellungen für seinen späteren Berufswunsch vornehmen und sich verstärkt mit den Themen beschäftigen, die einen am meisten interessieren. Und auch bei den Hausarbeiten kann man viel lernen wie z.B. eigene Gedanken zu juristischen Problemen zu entwickeln, Recherchen im Seminar anzustellen usw. Schließlich können auch die Schlüsselqualifikation, die „Fremdsprachenkompetenz“ und die „Grundlagen des Rechts“ sicher nicht schaden, sondern sie gehören zu einer guten Juristenaubildung unweigerlich dazu.
Die Frage ist, ob alleine diese zusätzlichen Inhalte die gesamte Studienzeit vor dem Repetitorium rechtfertigen können. Der zeitliche Aufwand hierfür ist nämlich sehr überschaubar, so dauern die Hausarbeiten in Köln insgesamt nur knapp 6 Wochen (10 Tage sind für die „kleine Hausarbeit“ vorgesehen, vier Wochen für die „große Hausarbeit“). Die Schlüsselqualifikation und die „Fremdsprachenkompetenz“ hat man ebenfalls schnell erledigt und auch die Veranstaltungen zu den „Grundlagen des Rechts“ sind nur auf ein Semester ausgelegt und werden von den meisten Studenten eher nebenbei erledigt. Und selbst der Schwerpunktbereich ist in aller Regel in zwei Semestern abgehakt.
Schon der Zeitfaktor spricht also gegen eine ausreichende Rechtfertigung, darüber hinaus kann man aber auch kritisch hinterfragen, wieviel von diesen Inhalten wirklich nachhaltig bei den Studenten hängen bleibt. Erwirbt man durch den Pflichtbesuch einer Vorlesungsreihe wirklich eine „Fremdsprachenkompetenz“? Und wieviel bleibt von den „Grundlagen des Rechts“ eigentlich nachhaltig im Gedächtnis? Würde man dies nach dem Examen nochmal überprüfen wären die Ergebnisse wahrscheinlich ernüchternd, eben weil sich die meisten Studenten nur so lange mit diesen Themen beschäftigen, bis sie die entsprechende Klausur dazu bestanden haben.
Ein diskussionswürdiger Ansatzpunkt für Verbesserungen im Jurastudium wäre also, dass man die vielen Pflichtklausuren verstärkt in Frage stellt und man stattdessen viel mehr Anstrengungen unternimmt ein echtes Interesse bei Studenten an den Themen zu wecken. Genau dieses Interesse traut man den Studenten bislang nämlich kaum zu und scheint es sogar für völlig abwegig zu halten.
Und genau hier sollte man ansetzen und alles dafür tun das Interesse der Studenten zu wecken und zu fördern wo es nur geht.
Das heißt nicht, dass man nun alle Prüfungen abschaffen müsste, denn Prüfungen können als zusätzliche Motivation ja durchaus sinnvoll sein. Die meisten Studenten wollen sogar regelmäßig geprüft werden, denn dadurch erhalten sie ja ein wichtiges Feedback für ihre Lernbemühungen. So ist es schließlich auch immer interessant zu erfahren, wo man im Vergleich zu den anderen steht und welche Defizite man im Einzelnen noch hat usw. Prüfungen und Interesse müssen sich also keinesfalls ausschließen, sondern im Gegenteil: Gute Noten wirken sich in aller Regel sogar positiv auf das Interesse aus. Aber warum überlässt man es den Studenten nicht selbst zu entscheiden, wann und in welchem Umfang sie geprüft werden wollen? Bei der Vorbereitung auf die Staatliche Pflichtfachprüfung treten die Studenten schließlich auch freiwillig zu diversen Klausuren an und setzen sich samstags fünf Stunden lang hin um ihr Wissen zu testen, warum traut man ihnen das nicht von Anfang an zu? Eine erste Forderung könnte also lauten:
Die Lehre
Um das Interesse der Studenten zu fördern ist es wichtig, dass man auch interessante Lehrveranstaltungen anbieten kann. Und hierfür wäre es sicherlich hilfreich, wenn man bei der Auswahl und Einstellung der Professoren nicht nur auf die fachlichen Qualitäten achten würde, sondern auch die didaktischen Fähigkeiten mit einbezöge. Im Moment gibt es nämlich viel zu viele einschläfernde Vorlesungen, bei denen der Erkenntnisgewinn in keinem Verhältnis zu der aufgewendeten Zeit steht.
Auch die vorlesungsbegleitenden Materialien sind in aller Regel kaum geeignet sich damit den Stoff auf Examensniveau zu erarbeiten. Das geht schon damit los, dass man sich innerhalb der Universität nicht auf ein einheitliches Konzept verständigt und daher jede Powerpoint Präsentation anders aussieht. Die Skripte der Repetitorien sind hingegen immer im gleichen Stil gehalten, was für das Lernen viel angenehmer und sinnvoller ist. Kein Wunder also, dass die Vorlesungsmaterialien am Ende kaum jemand für die Examensvorbereitung nutzt, und alle lieber zu den kostenpflichtigen Skripten greifen.
Trotz all dieser Kritik kann man den Professoren hierfür aber noch nicht mal einen großen Vorwurf machen, denn sie werden bei der Planung ihrer Vorlesungen und Materialien ja auch gänzlich alleine gelassen. Kenntnisse der Lern– und Hirnforschung werden von ihnen nicht verlangt und sie werden auch in keinster Weise didaktisch geschult und auf die Arbeit mit den Studenten vorbereitet. Außerdem werden viele Professoren auch zur Lehre gezwungen, obwohl sie sich in erster Linie als Forscher begreifen und teilweise gar keine große Lust auf die Arbeit mit den Studenten haben. Warum lässt man diese hochkompetenten Leute – die ja nicht umsonst häufig zweimal ein „gut“ in den Staatsexamen geholt haben – nicht in Ruhe forschen und wählt für die Lehre nur Leute aus, die auch wirklich Lust darauf haben?
Schließlich ist auch zu kritisieren, dass die Universitäten kaum mal neue Lehrformen ausprobieren. Eigentlich hätte man dort ja alle Möglichkeiten und könnte z.B. verschiedene Konzepte und Materialien an vergleichbaren Studentengruppen testen und anschließend überprüfen, welche Gruppe in einer Klausur besser abschneidet. So könnte man systematisch herausfinden, welche Vermittlungsformen und Materialien bei den Studenten am besten ankommen usw. Solche Versuche finden allerdings überhaupt nicht statt, sondern man bleibt einfach konsequent bei der schon über 100 Jahre alten Vorlesung.
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Die Lerntechniken
Wenn man unterschiedliche Lehrformen systematisch testen würde könnte man auch feststellen, ob z.B. das Mindmapping oder die Gedächtnistechniken tatsächlich sinnvoll im Jurastudium eingesetzt werden können. Ein Versuch wäre es auf jeden Fall wert, denn zumindest das Mindmapping ist bei den Studenten ja schon relativ weit verbreitet, obwohl mit diese Technik an den Universitäten bislang kaum erwähnt wird.
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Schlusswort
Bei all dieser Kritik an der Lehre muss auch betont werden, dass die Professoren mit ihrer Forschungstätigkeit eine sehr wichtige Arbeit leisten und ihre unabhängige Stellung auch extrem wichtig ist für die Erhaltung und Weiterentwicklung des Rechts. Das Rechtssystem in Deutschland hat einen ausgezeichneten Ruf, und daran dürften die vielen Professoren an den Juristischen Fakultäten einen ganz entscheidenden Anteil haben. Es ist eine große Errungenschaft, dass alle wesentlichen Vorschriften des Zivil-, Straf– und Verwaltungsrechts schon seit vielen Jahrzehnten Bestand haben und die Vorschriften so ausgeklügelt sind, dass sie rechtspolitisch weitgehend unumstritten sind. Wenn man die Regeln – und die dazugehörige Rechtssprechung – studiert merkt man auch einfach, wie logisch, durchdacht und ausgewogen die Regeln sind und auf welch stabilem Fundament das Ganze gebaut ist. Fachlich sind die juristischen Fakultäten also Top, aber die Lehre kann ganz offensichtlich noch verbessert werden. Vielleicht setzen sich alle Beteiligten ja irgendwann nochmal zusammen.